MUSICA OBLITA

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Sinfonie / Ouvertüre D-Dur P 218

Sinfonie Es-Dur P 219

Die Sinfonien D-Dur P 218 und Es-Dur P 219 sind wahrscheinlich bereits in den 1780er Jahren, spätestens aber 1790, entstanden. Beide Werke sind nur in Stimmsatz-Abschriften überliefert; als zusammen gehörige Gruppe erscheinen sie im Bestand der Staatsbibliothek Berlin, wobei die Titelblätter beider Manuskripte folgenden Herkunftsvermerk tragen: „Danzi / hat dir Le Brun / mitgebracht 1790.“ Mit „Le Brun“ ist Danzis Schwager, der der Münchener Hofkapelle angehörende Oboenvirtuose Ludwig August Lebrun (1752-1790) gemeint, der am 15. Dezember 1790 während eines Gastspiels in Berlin überraschend verstarb. Offenbar hatte der Virtuose die beiden Werke Danzis mit sich geführt (möglicherweise um sie in seinen Konzerten zu verwenden), und diese waren über einen befreundeten Berliner Hofmusiker in den Bestand der Berliner Hofkapelle gelangt.

Während das Berliner Manuskript für die Sinfonie Es-Dur P 219 die einzige Quelle darstellt, existiert für die Sinfonie D-Dur P 218 ein weiterer abschriftlicher Stimmsatz, der sich im Bestand der Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek in Regensburg befindet. 

Die beiden Fassungen von P 218 weichen stark voneinander ab: In der Berliner Fassung ist das Werk dreisätzig (ohne Menuett) und trägt die Gattungsbezeichnung „Ouverture“; in der Regensburger Fassung bezieht sich der Titel „Ouverture“ nur auf den ersten Satz, das Werk insgesamt ist als „Sinfonia“ bezeichnet. Auch die Besetzung ist unterschiedlich: In der Regensburger Fassung ist sie gegenüber der Berliner in Kopfsatz und Finale um Fagotte, Trompeten und Pauken erweitert. Dazu kommen einige Unterschiede im Verlauf des Kopfsatzes, der in der Regensburger Version 19 Takte länger ist als in der Berliner. 

Weder diese Unterschiede noch sonstige in den Quellen zu findende Hinweise geben Aufschluss darüber, welche der beiden Fassungen von P 218 die von Franz Danzi intendierte ist, ob Danzi möglicherweise beide Fassungen autorisiert hat, oder ob eine der beiden oder beide Fassungen eine Bearbeitung von dritter Hand darstellen. Lediglich die Autorschaft Danzis für dieses Werk (in welcher Fassung auch immer) kann als gesichert gelten; es gibt außer diesen zwei Quellen, deren Zuschreibungen an Danzi voneinander unabhängig sind, keine weiteren Zuschreibungen. Der CD-Aufnahme von P 218 mit dem Orchestra della Svizzeria Italiana unter Lettung von Howard Griffiths liegt die größer dimensionierte, „sinfonischere“ Regensburger Fassung zugrunde.

Danzis zwei frühe Sinfonien weisen in vielen Einzelheiten den Charakter von Jugendwerken auf; sie bergen aber auch mancherlei überraschende innovatorische Ansätze. In beiden Werken steht am Beginn des Kopfsatzes eine Langsame Einleitung, deren Funktion in beiden Fällen bei größter Unterschiedlichkeit der Faktur über die einer reinen Einleitung weit hinaus geht. 

In der D-Dur-Sinfonie P 218 präsentiert Danzi einen typischen zeitgenössischen Sinfoniebeginn mit mehrmaliger Bestätigung des Grundtons im forte und mit  thematisch unspezifischen, harmonisch aber eindeutigen Umspielungen der Grundtonart. Prägnant ist allerdings der Rhythmus mit der zweimaligen Aufeinanderfolge eines scharf punktierten Auftaktmotivs zur Harmonik einer Kadenz. Diese Prägnanz ist keineswegs zufällig, denn das rhythmische Motiv wird am Ende der Exposition (und analog der Reprise) zusammen mit der Kadenzharmonik wiederaufgenommen, und am Beginn der Reprise wird sogar – ohne Tempowechsel, aber unter Verdoppelung der Notenwerte – die Langsame Einleitung in extenso zitiert. Der Langsamen Einleitung kommt hier also eine motivisch-thematische Bedeutung zu. 

Ganz anders in der Es-Dur-Sinfonie P 219; prägnant ist hier weniger der Rhythmus, sondern die melodische Kontur des Anfangsthemas in der Paralleltonart c-Moll mit den charakteristischen Sprüngen zur Terz es und zur Sexte as. Zwar folgen dann auch in dieser Einleitung rhythmisch scharf profilierte Einwürfe, aber diese haben hier  – anders als die melodisch prägenden Mollcharakteristika – nur kursorische Bedeutung. Die komplette Einleitung bleibt in c-Moll und endet auf dessen Dominante G-Dur, so dass der Einsatz des Allegro-Teils in Es wie ein Trugschluss erscheint. Die Grundtonart Es-Dur wird erst im weiteren Verlauf der Exposition kurz vor der Wiederholung des Hauptthemas kadenziell bekräftigt. Die Abfolge von langsamem und schnellem Teil wirkt hier weniger wie eine sinfonische Eröffnungsgeste als vielmehr wie die Aufeinanderfolge von pathetischem Rezitativ und gelöst heiterer Arie, also wie eine der Musikdramatik entlehnte Formidee, deren satztechnische Konsequenzen sich in der Faktur des Satzes dadurch zeigen, dass sie weitgehend homophon gehalten ist. 

Ganz im Gegensatz dazu steht der Kopfsatz der D-Dur-Sinfonie, in dem Imitationen und (schein-)polyphone Abschnitte vielfach Verwendung finden. Doch auch in diesem Satz wächst der Einleitung strukturelle Bedeutsamkeit zu: Der charakteristische Terz-Sextsprung erscheint am Ende der Exposition (bzw. der Reprise), und die Langsame Einleitung wird, wie in der D-Sinfonie, zu Beginn der Reprise unter Beibehaltung des Tempos ausführlich zitiert. Allerdings zeigt sich hier nun eine Konsequenz der harmonischen Unklarheit des Satzbeginns, denn das Hauptthema des Allegroteils erscheint nun, nachdem das Zitat der Einleitung in G-Dur endet, in der kontextuell harmonisch „richtigen“ (auf die Reprisenfunktion bezogen aber „falschen“) Tonart c-Moll. Erst in einer retardierenden Coda wird das Hauptmotiv in der Grundtonart gewissermaßen nachgereicht. 

Auch in den anderen Sätzen der beiden Sinfonien scheint sich Danzi darum bemüht zu haben, bei allem Streben nach stilistischer Einheit unterschiedliche Ausdrucksbereiche und Formmodelle zur Anwendung zu bringen. Die D-Dur-Sinfonie enthält einen typischen Andante-Satz mit einem rondoartig wiederkehrenden Romanzenthema in „gehendem“ Duktus, das durch Zwischenspiele in benachbarten Molltonarten und in gelegentlich konzertanter Satztechnik (Oboe und Flöte) unterbrochen wird, während die Es-Dur-Sinfonie P 219 ein wiegendes Siciliano-Andante im 6/8-Takt und in verkürzter Sonatenform (ohne Durchführung) bringt. 

Selbst die beiden Menuettsätze sind vom Streben nach satztechnischer Diversifikation nicht ausgenommen; der entsprechende Satz in P 218 entfaltet seinen Charme im Wechsel von dreiklangsbetontem Tutti im Unisono und ausharmonisierten Einwürfen der Bläser, während das Menuett von P 219 von engintervallig aufsteigenden Schleiferfiguren geprägt ist. 

Die Schlusssätze prägen zwar beide den Typus des „Kehraus“-Finales aus, wobei sich hier der Unterschied der Satztechnik der Kopfsätze wiederholt: Im Presto der D-Dur-Sinfonie (P 218), das der Sonatenform folgt, herrscht – trotz eines von simplen Akkordschlägen bestimmten Hauptthemas und eines über liegenden Akkorden erklingenden Seitenthemas – ein von Imitationen und polyphonen Ansätzen dominierter Tonsatz vor, während das Allegro non troppo der Es-Dur-Sinfonie (P 219), ganz dem Duktus seines rondomäßig erfundenen Hauptthemas folgend, eine lockere Fügung von homophonen Couplets, deren thematisches Material mehr oder weniger abhängig vom Anfangsthema ist, präsentiert.

Bert Hagels

 

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