MUSICA OBLITA

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum

Sinfonie C-Dur op. 20/24 P 221

Anders als für die d-Moll-Sinfonie P 220 existiert für die Sinfonie C-Dur P 221 keine Abschrift, die auf eine deutlich vor dem Veröffentlichungstermin liegende Entstehungszeit verwiese. Allerdings gehören die nicht datierten autographen Partituren beider Sinfonien zusammen; sie sind gemeinsam überliefert, entstammen demselben Konvolut, weisen denselben Schriftduktus und dasselbe Papierformat auf. Es darf also angenommen werden, dass die Autographe beider Sinfonien in enger zeitlicher Nachbarschaft liegen. Stilistische Kriterien legen jedoch nahe, dass P 221 später entstanden ist als P 220, so dass die für P 220 geäußerte Vermutung, das Autograph des Werkes ginge auf eine wesentlich ältere Vorlage zurück, an Plausibilität gewinnt. 

Für P 221 darf indes eine Entstehungszeit, die nicht sehr weit vor dem Veröffentlichungsdatum liegt, angenommen werden. Das Erscheinen des Stimmdruckes wurde vom Verlag Breitkopf & Härtel in verschiedenen Annoncen im April 1804 angekündigt[1]; jedoch scheint es gegenüber P 220 zu einer Verzögerung gekommen zu sein, denn während P 220 bereits im Bücherverzeichnis der Leipziger Ostemesse 1804 aufgeführt wird[2], so erscheint P 221 (als „Sinfonie à gr. Orchestre. Op. 20.“) erst im Katalog der Michaelismesse 1804.[3] 

Die erste nachweisbare Aufführung fand am 29. November 1804 im Leipziger Gewandhaus statt; eine Wiederholung folgte am 6. Dezember.[4] Eine (mutmaßlich von Friedrich Rochlitz verfasste) kurze Rezension des Werks im Rahmen der üblichen vierteljährlichen Überblicke über das Repertoire der Gewandhauskonzerte in der Allgemeinen musikalischen Zeitung hebt insbesondere die innovativen Züge an Danzis Werk hervor, tadelt aber die Bläserlastigkeit des zweiten Satzes, die als nicht legitime Gattungsüberschreitung zur „Harmoniemusik“ empfunden wird:

Eine neue Sinfonie von Danzi (mit fugirtem Schluss-Satz) zeigte von neuem, dass dieser Komponist nicht nach Würden gekannt ist. Er hat hier in Manchem - und mit Recht, obschon sich darum das grössere Publikum erst an sein Werk gewöhnen muss - den jetzt gewöhnlichen Zuschnitt verlassen, und ein gewiss schätzenswerthes Stück geliefert. Nur gegen das Andante ist mit Grund einzuwenden, dass die Blasinstr. zu vieles allein haben - so vieles, dass es fast als sogenannte Harmonie erscheint, und als solches viel zu lang ist.[5]

In der Tat, die Tatsache, dass in 72 der insgesamt 88 Takte des zweiten Satzes die Streicher schweigen, ist nur die auffälligste jener Eigenheiten, die das Werk kennzeichnen und vom „jetzt gewöhnlichen Zuschnitt“ abweichen. Zugleich stellt es eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber den drei vorhergehenden Sinfonien dar. So sind jene schematischen Sequenzgänge, die weite Teile der Ecksätze der drei älteren Sinfonien bestimmten, kaum mehr zu finden.

Dafür entwickelt Danzi nunmehr ein ganz eigentümliches Gespür für harmonische Wirkungen und tonale Schwebezustände, in denen durch unerwartete Wendungen und plötzliche Wechsel zwischen Dur und Moll das harmonische Empfinden der Zeitgenossen stark strapaziert worden sein muss. So wird gleich in der Langsamen Einleitung des Kopfsatzes, die sich als ein instrumentales Rezitativ mit der Gesangsstimme in der ersten Violine präsentiert, das tonale Zentrum C-Dur zwar beständig umkreist, dieses erklingt aber, durch eine von mancherlei Umwegen hinaus gezögerte Kadenz vorbereitet, erst am Beginn des folgenden Allegro-Teils. 

Das Hauptthema des Allegro-Teils setzt mit einer gewissen Beiläufigkeit in Sextparallelen zwischen Streicherbass und erster Violine ein, im Nachsatz wird es sofort nach a-Moll umgebogen, und erst eine abschließende Kadenz bestätigt C-Dur als Grundtonart. Nach einem von dynamischen Kontrasten gekennzeichneten Orchestertutti führt die Überleitung, wie in einem Sonatensatz üblich, zur Dominanttonart; die Überleitung kommt aber überraschend nicht in der Dominanttonart, sondern in deren Mollvariante g-Moll zum Stehen; eine kurze kadenzierende Floskel von Flöte und erstem Fagott, die bereits am Schluss des Hauptthemas erklungen war, stellt die „richtigen“ harmonischen Verhältnisse wieder her, und der Seitensatz beginnt regulär in G-Dur. Doch er wird bereits nach zwei Takten durch die Verwendung der Mollsexte es in der Melodiestimme tonal verunsichert. Die weitere Entwicklung des Seitensatzes führt in tonal entfernte Regionen – erst nach a-Moll, dann nach Es-Dur – und wird immer wieder durch nahezu gewaltsam dazwischen fahrende Kadenzen zur eigentlichen Tonart G-Dur zurückgebogen. Sogar die im „gewöhnlichen Zuschnitt“ funktional der tonalen Bestätigung am Ende der Exposition dienende Schlussgruppe schwankt gelegentlich zwischen Dur und Moll. 

Die Durchführung, traditionell der Ort heftiger Modulationen, fällt nicht nur durch ihre harmonische Vielfalt auf, sondern auch durch eine für Danzi neue Technik der Motivisolation und -neukombination; nachdem an ihrem Anfang das Hauptmotiv nach Es-Dur und c-Moll versetzt wird, benutzt Danzi eine Kombination jenes Einwurfs der Bläser, der vor Beginn des Seitensatzes zur Dominante zurückgelenkt hatte, mit zwei aus der Schlussgruppe stammenden Motiven als variables Scharnier, um durch die entferntesten Tonarten zu führen, so im ersten Durchgang bis nach Fis-Dur, und, nach einer zäsurbildenden Kadenz in g-Moll, bis nach cis-Moll und Cis-Dur. Auch die Reprise bleibt von harmonischen Ambivalenzen nicht verschont: So wendet sich die Überleitung, nachdem das Hauptthema kurz in der Grundtonart C-Dur erklungen war, nach Es-Dur und c-Moll; ebenso behält der Seitensatz die tonalen Schwankungen, die ihn bereits in der Exposition gekennzeichnet haben, bei; erst die Schlussgruppe bringt eine nicht mehr zu erschütternde Bestätigung der Grundtonart C-Dur. Doch eine Überraschung hat sich Danzi noch aufgespart: Nach Kadenzschlägen des ganzen Orchesters im fortissimo erklingt ein letztes Mal (und im piano) jene kadenzierende Bläserfloskel, welche in der Exposition die Tonart des Seitensatzes richtig gestellt und in der Durchführung eminente motivische Bedeutung erlangt hatte. Der Satz verklingt im pianissimo

Harmonische Trübungen prägen auch den dritten Satz, der, wenn der Ausdruck nicht ein wenig anachronistisch wäre, trotz seiner Tonart (C-Dur) als eine Art „Minuet triste“ bezeichnet werden könnte: Durch sforzati hervorgehobene, dissonante Vorhaltsakkorde, deren Ausdehnung auf einen Takt eine Suspension des tänzerischen Dreiermetrums bewirken, sowie chromatische Wechselnoten in den Melodiestimmen verleihen dem Satz einen eigentümlich melancholischen Klangcharakter, zu dem das Trio in As-Dur mit einem zarten Violinsolo einen stimmungsaufhellenden Kontrast bietet. 

Alle Register seines Einfallsreichtums zieht Danzi im Finalsatz dieser Sinfonie; zu den tonalen Ambivalenzen tritt hier noch eine ausgeprägte Lust am formalen Experiment, denn Danzi schwebt offenbar vor, in diesem Satz eine Kombination der Formprinzipien von Rondo, Sonate und Fuge zu erreichen; Friedrich Rochlitz hatte vereinfachend von „fugirtem Schluss-Satz“ gesprochen. 

In einem sieben Takte umfassenden, einleitenden Grave wird ein Thema in c-Moll vorgestellt, eine typische pathetische Einleitungsgeste, pausendurchzogen und von punktiertem Rhythmus geprägt; darauf folgt, im Allegro-Tempo und über liegenden Horntönen, ein Thema in C-Dur, das bei größerer Entfaltung als Rondo-Refrain angesehen werden könnte und in seiner Beiläufigkeit an das Hauptthema des ersten Satzes erinnert; doch bereits nach acht Takten setzt unvermittelt, weiterhin im Allegro-Tempo, ein neues Thema in c-Moll ein, dessen Kopf mit den prägenden Intervallen der steigenden kleinen Sexte und fallenden kleinen Septime auf den Grave-Beginn zurückgreift. 

Die folgenden Kadenzwendungen führen über As nach Es-Dur; ein imitatorischer Fugenansatz ist kurz zu vernehmen, bevor der Satz abrupt auf der Dominante von Es-Dur zum Stehen kommt. Unvermittelt erklingt nun in H-Dur das fragmentarische Rondothema, das danach in pausenlosen Abwärtssequenzen (harmonisch eine Quintfallsequenz, die auf engstem Raum von H zum Tritonus f führt) ins Bodenlose zu fallen scheint; aufgefangen wird der Satz durch den Einsatz einer (zumindest in ihren ersten 10 Takten) regelrechten Fuge in f-Moll mit dem bereits eingeführten Mollthema als Subjekt; sie weicht schließlich der Wiederkehr des diesmal in Es-Dur erklingenden Rondothemas; darauf folgt, leicht modifiziert, die Reprise der Kadenzwendungen des ersten Teils, nun nach C-Dur führend; auch die Fuge kehrt, C-Dur beibehaltend, kurz wieder, in acht Takte zusammengedrängt und durch Engführungen kontrapunktisch verdichtet. Nach weiteren Kadenzwendungen, die die Grundtonart C-Dur bestätigen, erklingt das Rondothemenfragment ein letztes Mal.

 

Bert Hagels

[1] Nachweise bei Volkmar von Pechstaedt, Thematisches Verzeichnis der Kompositionen von Franz Danzi (1763-1826). Mit einem Anhang der literarischen Arbeiten Danzis, Tutzing 1996, S. 118.

[2] Allgemeines Bücher-Verzeichnis usw. Ostermesse 1804, Leipzig 1804, S. 243.

[3] Allgemeines Bücher-Verzeichnis usw. Michaelismesse 1804, Leipzig 1804, S. 470.

[4] Vgl. Alfred Dörffel, Statistik der Concerte des Gewandhauses zu Leipzig, Leipzig 1881, S. 18. Dörffel und der im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig aufbewahrte Programmzettel des Konzerts weisen zwar nur eine „Sinfonie von Danzi“ aus; die nachfolgend zitierte Rezension des Werkes in der AmZ bezieht sich aber mit wünschenswerter Eindeutigkeit auf P 220; vgl. Bert Hagels, Konzerte in Leipzig 1779/80 bis 1847/48, Berlin 2009, CD-ROM, S. 446.

[5] „Nachrichten. Musik in Leipzig. Michael bis Weihnacht 1804“, in: AmZ VII (1804/1805), Sp. 213-218; hier Sp. 216.

Home        

Danzi            Eberl            Romberg             Wilms            Neukomm            Spohr             Onslow            Ries            Fesca            Kalliwoda                 Impressum