MUSICA OBLITA

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Ouvertüre Nr. 10 f-Moll op. 142

Wie bei den meisten Werken Kalliwodas ist die Entstehungszeit der Ouvertüre Nr. 10 f-Moll op. 142[1] nicht dokumentiert; sie dürfte jedoch nicht lange vor der Uraufführung anzusetzen sein, die am 13. Januar 1842 im Gewandhaus zu Leipzig erfolgte; Dirigent war der Musikdirektor des Leipziger Theaters, Karl Ludwig August Bach. Von Anfang an stand das Werk in der Kritik: Der Rezensent der ortsansässigen Allgemeinen musikalischen Zeitung lobte es zwar, fand aber auch, es stehe Kalliwodas früheren Orchesterkompositionen nach:

Die Ouverture von Kalliwoda ist recht gut erfunden, wie denn überhaupt ein so talentvoller und gebildeter Musiker, wie Herr Kalliwoda bekanntlich ist, nie etwas Werthloses schreiben kann und wird; sie steht aber doch nicht auf gleicher Höhe mit seiner ersten grössern Orchesterwerken, die im Ganzen kräftiger und eigenthümlicher erfunden, hauptsächlich aber fleissiger und sorgsamer gearbeitet sind, als mehrere seiner späteren Kompositionen. Die Aufführung war sehr gelungen.[2]

Deutlicher wurde der Rezensent der Neuen Zeitschrift für Musik:

Die Ouverture vermehrt zwar die Opuszahl des geschätzten Componisten, doch nicht dessen wohlerworbenen Ruhm. Sie hat eine Physiognomie à la silhouette, ist im Gedanken ziemlich unbedeutend und in der Ausführung sehr bequem und leichtfertig, und nur die Routine, mit der alles gemacht ist, verräth den Schöpfer besserer Werke. Das Ganze rauscht vorüber, ohne den  mindesten Eindruck zu hinterlassen.[3]

Kalliwoda ließ drei Jahre verstreichen, bis er das Werk drucken ließ. Möglicherweise behielt er sich vor der Drucklegung mit Rücksicht auf die gemischte Aufnahme in Leipzig eine Umarbeitung vor, wie er es auch in anderen Fällen getan hat.[4] Erst im August 1845 erschien der Stimmdruck gleichzeitig mit einer Bearbeitung für Klavier zu vier Händen.[5] Es ist Kalliwodas erste Ouvertüre, die auf dem Titelblatt des Drucks ausdrücklich als Konzertouvertüre („Ouverture de Concert“) bezeichnet wird. In der Neuen Zeitschrift für Musik erschien eine kurze Rezension des Klavierauszuges, die zusammen mit der Sonate für Klavier zu vier Händen op. 135 besprochen wird; der Rezensent (vermutlich der Philosoph und Kritiker Eduard Krüger) zieht die Ouvertüre der  Sonate vor, auch wenn er sie keineswegs für ein Meisterwerk hält:

Die Ouverture, obgleich auch nicht sonderlich neu, ist bei weitem ansprechender, sogar spielbarer als vorstehendes Originalwerk, und wird im Concert vom Orchester ausgeführt von guter Wirkung sein. Beide erreichen nicht die früheren Werke desselben Componisten.[6]

Auch der dem Kreis um Robert Schumann zeitweise nahe stehende Komponist und Publizist Herrmann Hirschbach (1812-88) ließ in seinem Periodikum Repertorium der Musik kein gutes Haar an der Ouverture, die er gleich nach ihrem Erscheinen zusammen mit der bereits erwähnten vierhändigen Sonate op. 135 und einigen Lieder (opp. 139 und 144) besprach. Die Rezension nutzt Hirschbach zu einer Generalabrechnung mit dem Typus von Komponisten, den er in Kalliwoda zu erkennen glaubte:

Auch ein schon oft von uns erwähnter Mann. Alle Jahre taucht er mit einer Anzahl von Werken auf, die dickleibig genug, aber nur Schalen ohne Kern sind. Was ist eigentlich an solchen Symphonien, Ouvertüren, Sonaten, wie sie Kalliwoda schreibt, gelegen? – Es sind Geschäftssachen, die nur für die Kreise der Dilettanten Interesse haben können. Kalliwoda gehört in eine Klasse mit Reissiger. Man muss da nichts von künstlerischem Streben, von Charakter und poetischem Plane suchen. Harmlose Unterhaltung, das ist das Höchste, was beide Männer geben können; und wie wird da auf jeder Seite der ästhetische Geschmack verletzt, wie drängen sich Gemeinplätze und triviale Albernheiten einander? – Reissiger schreibt für die Schwaben in Norddeutschland, Kalliwoda für die in Süddeutschland, beide mit Profit. [7]

Nach einem Totalverriss der Sonate, die mit fast ehrenrührigen Beschimpfungen aufwartet („Redensarten und Floskeln, ohne Spur innerer Wahrhaftigkeit“; „kläglicher Lärm“; „Abgeschmacktheit“; „triviale Windbeutelei“), macht Hirschbach mit der Ouvertüre kurzen Prozess:

Die Ouvertüre ist ganz voll desselben Geistes. Es wäre weggeworfene Mühe darüber Langes und Breites zu schwatzen. Machte sich Kalliwoda mit seinen Sachen in der Literatur nicht so unverhältnissmässig breit, wir würden milder gegen ihn sein, und mehr mit blosser stillschweigender Verachtung seinen Leistungen begegnen.[8]

Aus solchen Zeilen spricht freilich keine kritische Distanz, sondern blanker Hass, dessen Grund – das soll hier bei aller in derlei Dingen gebotenen Vorsicht vermutet werden – auch in Hirschbachs Lebensgang gesehen werden kann: Zeitlebens hatte Hirschbach mit seinen eigenen, von Robert Schumann anfangs (1838/39) hoch gelobten Kompositionen keinen Erfolg; da mochte ihm der beliebte, bis in die 1840er Jahre häufig aufgeführte Kalliwoda mit seinen immer auf offene (wenn auch gelegentlich kritische) Ohren stoßenden Kompositionen ein Dorn im Auge sein[9], zumal auch der von Hirschbach verehrte Robert Schumann Kalliwoda öffentlich lobte, während er sich von Hirschbach bereits zu distanzieren begann.[10] Ohne Ressentiments des Erfolglosen gegenüber dem Erfolgreichen ist die Schärfe von Hirschbachs Rezension kaum zu erklären.

Gewidmet ist Kalliwodas Ouvertüre der Société philharmonique von Colmar, einem Verein, der sich 1839 Statuten gegeben hatte. Verbindungen zu der ca. 100 km westlich  von Donaueschingen jenseits des Rheins gelegenen elsässischen Stadt haben sich für Kalliwoda möglicherweise durch seinen gleichaltrigen Kapellkollegen Nikolaus Gall (1801-63) ergeben, der aus der Gegend von Colmar stammte.[11]

Bert Hagels

[1] Bibliographische Daten in: László Strauß-Németh, Johann Wenzel Kalliwoda und die Musik am Hof von Donaueschingen, 2 Bde., Hildesheim, Zürich, New York, 2005, Bd. 2, S. 137f.; vgl. auch: Bärbel Pelker, Die deutsche Konzertouvertüre (1825-1865). Werkkatalog und Rezeptionsdokumente, Frankfurt/Main 1993, 2 Tle., Teil 1, S. 365f.

[2] „Leipzig, den 21. Januar 1842“, in: Allgemeine musikalische Zeitung XLIV (1842), Sp. 80-86; hier Sp. 82.

[3] „Dreizehntes Abonnementconcert, d. 13. Januar“, in: Neue Zeitschrift für Musik 16 (1842/I), S. 35-36; hier S. 35.

[4] Vgl. Bert Hagels, „Vorwort“, in: Johann Wenzel Kalliwoda, Sinfonie Nr. 2 Es-Dur op. 17, Partitur, Berlin 2010, S. III- XXVII, hier S. XVI; ders., „Vorwort“, in: Johann Wenzel Kalliwoda, Concertino für Violine und Orchester Nr. 5 a-Moll op. 133, Berlin 2010, S. III-VIII; hier S. III-IV.

[5] Angezeigt in: Musikalisch-literarischer Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen [...] 1845, Leipzig 1845, S. 114 (Stimmen) bzw. 118 (Klavierauszug), beide Einträge mit der falschen Opus-Zahl 141. Der Katalog ist als Datenbank und Faksimile online verfügbar unter: http://www.hofmeister.rhul.ac.uk/2008/index.html.

[6] „Für Pianoforte zu vier Händen. J. W. Kalliwoda, Große Sonate. Op. 135 [...] – 10te Concertouvertüre. Op. 142 [...], in: Neue Zeitschrift für Musik 24 (1846/I), S. 19; die Rezension ist mit „E. K.“ gezeichnet.

[7] „Kalliwoda (G. [sic!] W.) Op. 135. Gr. Sonate p. P. à quatre mains [...] Op. 139. Fünf Lieder für e. Singstimme m. P. [...] Op. 142. 10 Koncert-Ouvertüren [...] Op. 144. Fischerlied f. Sop., Alt., Ten. u. Bass [...]“, in: Repertorium der Musik 2 (1845), S. 238-240.

[8] Ebd., S. 240.

[9] Vgl. zu Hirschbachs Werdegang bis zur  Gründung seiner Zeitschrift im November 1843: Robert Pessenlehner, Herrmann Hirschbach. Der Kritiker und Künstler. Ein Beitrag zur Geschichte des Schumannkreises und der musikalischen Kritik in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts, Regensburg 1932, S. 20-56, insbesondere S. 47ff.

[10] Vgl. Pessenlehner, op. cit., S. 51ff.

[11] Vgl. Strauß-Németh, op. cit., Bd. 1, S. 88

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