MUSICA OBLITA

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Fantasie B-Dur für großes Orchester NV 41

Unter der Nummer 41 und mit der Datierung „St. Petersburg 1/13 Febr: 1808“ trug Neukomm die chronologisch letzte seiner vier in Russland entstandenen „Fantaisies à grand Orchester“ in sein handschriftliches Werkverzeichnis ein. Die Datumsangabe „1/13 Febr:“ meint nicht etwa den Zeitraum der Entstehung, sondern ist als alternative Datierung nach dem in Russland bis 1917 gültigen julianischen Kalender einerseits und nach dem in West- und Mitteleuropa geltenden gregorianischen Kalender andererseits aufzufassen: Neukomm hatte das Werk also am 13.02.1808 heutiger Zeitrechnung vollendet, ein Datum, das durch die Datierung am Schluss der autographen Partitur bestätigt wird (Februar erscheint dort allerdings als „Hornung“).

Über Aufführungen des Werks ist nichts bekannt. Die Tatsache, dass Neukomm einen Stimmsatz hat erstellen lassen, den er offensichtlich mit sich geführt hat, lässt den Schluss zu, dass er für den Fall einer sich ergebenden Gelegenheit zur Aufführung vorbereitet sein wollte. Indes weist der Stimmsatz keinerlei Gebrauchsspuren auf, und die Existenz von unkorrigierten Fehlern (z.B. falsche Zahlenangaben bei Mehrtaktpausen) lassen den Schluss zu, dass aus dem Stimmsatz nie gespielt wurde.

Die B-Dur-Fantasie ist – im großformalen Umriss – wesentlich weniger komplex als die d-Moll-Fantasie und steht darin den Fantasien in C-Dur NV 25 und c-Moll NV 37 nahe. Sie besteht aus einem ausgedehnten Larghetto, dem unter Verwendung derselben motivischen Substanz ein Allegro non troppo folgt. Überhaupt scheint es Neukomms Bestreben in diesem Werk gewesen zu sein, der motivischen Substanz eines kurzen Themas, das erstmals gleich nach zweimaligem Erklingen einer Kadenz zur Befestigung der Grundtonart im Larghetto-Teil exponiert wird (in der Oboe), durch Änderungen in der Harmonik, der Instrumentation, des Tempos, der Phrasierung usw. sowie durch Fragmentierung und Abspaltungen so viele Facetten abzugewinnen, dass es den Zusammenhang eines Werkes von knapp viertelstündiger Dauer gewährleisten kann. 

Als komplementäre musikalische Geste gesellt sich das scharf punktierte Unisono vom Beginn sowie daraus abgeleitete punktierte Akkordbrechungen, deren zumeist in den Streichern erfolgende Wiederkehr die formalen Bezugspunkte des Werkes markiert. Der weitere Verlauf des Larghetto ergeht sich in durchführungsartigen Partien unter Verwendung des punktierten Einleitungsmotivs sowie Verarbeitungen des Hauptthemas . 

Der Allegro-Teil (B-Dur) beginnt mit dem aus dem kadenzierenden Anfangsmaterial abgeleiteten punktierten Dreiklangsmotiv, das aber bald im Wechsel mit Fragmenten des Hauptmotivs erklingt. Ein Seitensatzbereich in der Dominanttonart F-Dur beginnt ebenfalls mit dem Hauptmotiv; die Exposition (wenn man diesen Teil so nenn darf, denn das gesamte Material war ja schon im Larghetto-Teil exponiert worden) wird durch ein Orchester-Tutti unter Verwendung des punktierten Dreiklangmotivs abgeschlossen. 

Im nun folgenden „Durchführungs“-Teil kommen die lyrischen Qualitäten des Hauptthemas in zarten Holzbläser-Einsätzen in unterschiedlichen Tonarten voll zur Geltung, bis das Thema schließlich in Verkleinerung und in der entfernten Tonart E-Dur von den Streichern nach Art eines scherzando aufgenommen wird; der Themenkopf wird Modulationen unterzogen, das Thema erscheint in einer hymnischen Variante in A-Dur. Eine ausgedehnte Durchführung des punktierten Dreiklangsmotivs führt zu einer Liquidationsphase, in der sich der Satz beruhigt und danach – unter Verwendung der scharf punktierten Dreiklänge – Spannung für die wie beiläufig einsetzende Reprise des Hauptthemas erzeugt wird. Die Wiederaufnahme der punktierten Dreiklangsbrechungen in triumphaler Geste schließt das Werk ab.

Bert Hagels

[1] Vgl. Neukomm, „Verzeichnis meiner Arbeiten in chronologischer Ordnung, angefangen im Monath Jänner 1804, im 26. Jahr meines Alters“, Faksimile einer von Neukomms Bruder Anton Simon Thadée (1793–1873) verfassten Kopie des im Original verschollenen Verzeichnisses, in: Rudolph Angermüller, Sigismund Neukomm. Werkverzeichnis, Autobiographie, Beziehung zu seinen Zeitgenossen (= Musikwissenschaftliche Schriften Bd. 4), München–Salzburg 1977, S. 57-243, hier S. 61.

[2] Vom Verlag Breitkopf & Härtel angezeigt im Verzeichnis der Leipziger Michaelis-Messe 1811 und im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen vom 15.12.1811.

[3] Vgl. AmZ 11 (1808/09), Sp. 207-208.

[4] „Leipzig“, in: AmZ 14 (1812), Sp. 242-247; hier Sp. 243.

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